Eine Erfolgsgeschichte der integrativen Schule: die Informationsblätter für Regellehrpersonen
Romain Lanners stellt die Informationsblätter zu den verschiedenen Formen von besonderen Bildungsbedürfnissen und spannende Zahlen rund um diese vor.Die Umsetzung des Grundsatzes «Integration vor Separation» ist eine komplexe und vielschichtige Herausforderung für alle Beteiligten. Die Informationsblätter, die das SZH im Auftrag der Kantone und in Zusammenarbeit mit den Kantonen verfasst hat, liefern mit ihrem Ansatz der universellen Pädagogik einen kleinen, aber wichtigen Beitrag auf dem Weg hinzu zu einer Schule für alle.
Die Informationsblätter für die Volksschule finden ihren Ursprung in der Umsetzung des Prinzips «Integration vor Separation», dem Grundsatz den das Sonderpädagogik-Konkordat von 2007 im Artikel 2 (lit. b) beschreibt. Ziel ist die Integration so zu stärken, dass die Schülerin oder der Schüler mit besonderen Bildungsbedürfnissen so lange wie möglich die Regelschule des Wohnortes zusammen mit den Geschwistern und Nachbarskindern besuchen kann.
Die Interkantonale Erziehungsdirektorenkonferenz der Westschweiz und des Tessins (CIIP) initiierte 2013, also kurz nach dem Inkrafttreten des Sonderpädagogik-Konkordats, das Projekt der Informationsblätter. Die kantonalen Amtsleitenden der Sonderpädagogik hatten im Voraus festgestellt, dass den Regelschulen Informationen über Schülerinnen und Schüler mit besonderen Bildungsbedürfnissen fehlten. Um die Lücke zu füllen, beauftragten sie das SZH die gewünschten Informationen in enger Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Fachleuten, welche über Expertise zu den verschiedenen Formen von besonderen Bildungsbedürfnissen verfügen, zu verfassen. Die Herausforderung war das Wissen aus der Forschung zusammenzutragen und auf praxisrelevante Inhalte herunterzubrechen. Dieser Wissenstransfer Forschung-Praxis ist auf die Regellehrpersonen der Volksschule ausgerichtet. Das Projekt wurde zudem von der interkantonalen Volksschulämterkonferenz der lateinischen Schweiz begrüsst und unterstützt.

Eine geballte Ladung Wissen und ein Schritt in Richtung universelle Pädagogik
In der Kollektion erschienen eine Einleitung und elf Informationsblätter. Letztere enthalten allgemeine Angaben zur jeweiligen Beeinträchtigung und deren möglichen Auswirkungen auf das Lernen. Konkrete pädagogische Anpassungen des Unterrichts im Sinne der Binnendifferenzierung und Massnahmen des Nachteilsausgleichs werden vorgeschlagen. Hinweise auf weiterführende Literatur runden jedes Informationsblatt ab und laden zum Weiterlesen ein. Die Einleitung ist ein Leitfaden für alle Informationsblätter. In diesem Dokument werden allgemeine Aspekte der Differenzierung des Unterrichts im Kontext der Regelschule beschrieben. Weiter werden Massnahmen des Nachteilsausgleichs zu denjenigen der pädagogischen Anpassungen des Unterrichts – wie sie in den Informationsblättern vorgeschlagen werden – in Bezug gesetzt. Schliesslich folgt eine Liste mit verschiedenen Massnahmen aus den einzelnen Informationsblättern, welche im Endeffekt für den Unterricht aller Lernenden einsetzbar sind (Stichwort «eine Schule für alle»). Die Informationsblätter sind ein pragmatischer Beitrag für eine universelle Pädagogik.
Die Informationsblätter erschienen zwischen 2013 und 2024, zuerst auf Französisch. Die ersten wurden in der Zwischenzeit bereits aktualisiert. Auf Grund des Erfolgs in der lateinischen Schweiz und der darauffolgenden vielen Anfragen aus der Deutschschweiz, wurden die Informationsblätter mit der Unterstützung der Deutschschweizer Volksschulämterkonferenz ins Deutsche übertragen. Einige wurden nur übersetzt, andere mussten angepasst oder sogar neu verfasst werden, weil die Zugänge (Theorien, Modelle, Praktiken oder auch Literatur) in beiden Sprachregionen sehr unterschiedlich sind. Alle Übertragungen wurden wiederum von Fachleuten begutachtet und abgenommen.

Informationsblätter für Lehrpersonen
Resonanz der Kollektion: ein Schlager auf Edudoc
Alle Informationsblätter sind auf Edudoc, dem Schweizerischen Dokumentenserver Bildung der EDK, abgelegt. Dadurch kennen wir die Anzahl der Downloads der ganzen Kollektion sowie jedes einzelnen Informationsblattes. Download bedeutet nur, dass ein Dokument heruntergeladen wurde. Es gibt jedoch keine Auskunft darüber, ob das Dokument auch gelesen, geschweige verstanden wurde. Im Jahr 2024 umfasste Edudoc rund 156 000 Dokumente, welche etwas mehr als 2.1 Millionen Mal heruntergeladen wurden. Dies entspricht einem jährlichen Durchschnitt von rund 14 Downloads pro Dokument. Viele der Informationsblätter befinden sich in den Top 100 der Downloads. Die ganze Kollektion der Informationsblätter erreichte 2024 knapp 65 000 Downloads, also rund 2 500 pro Informationsblatt. Keine andere Kollektion auf Edudoc kennt eine so hohe Anzahl an Downloads.
Zwischen März 2018 und April 2025 wurden alle Informationsblätter knapp 320 000-mal heruntergeladen: 275 000-mal für die französische Kollektion und 45 000 für die deutsche. Der Unterschied erklärt sich dadurch, dass die deutsche Kollektion um viele Jahre jünger ist und progressiv erst ab November 2022 zur Verfügung steht.
Wo drückt der Schuh des Lehrpersonals? Was sagen uns die Downloads?
Die durchschnittlichen Downloads pro Monat berechnet auf die Dauer der Publikation des Informationsblattes beziehungsweise seit März 2018, falls das Blatt vor diesem Datum publiziert wurde, ergeben ein interessantes und differenziertes Bild. Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen den französischen und den deutschen Informationsblättern. Der Reihenfolge nach sind Hochbegabung (G), Dyslexie-Rechtschreibschwäche (H) sowie Aufmerksamkeitsdefizitstörung mit oder ohne Hyperaktivität (F) die am häufigsten heruntergeladenen Blätter in französischer Sprache. Während Autismus-Spektrum (D), Verhaltensauffälligkeit (E) sowie Rechenschwäche (I) die ersten drei in deutscher Sprache sind.
Zudem werden monatlich durchschnittlich doppelt so viele Blätter auf Französisch (3 200) als auf Deutsch (1 500) heruntergeladen. Dies bedeutet, dass der Bekanntheitsgrad der deutschen Ausgaben stark gestiegen ist.
Zu den ersten drei gesellen sich die motorischen Störungen im Schulalltag (K), die Dyslexie-Rechtschreibschwäche (H) sowie die Aufmerksamkeitsdefizitstörung mit oder ohne Hyperaktivität (H). Der Anteil dieser sechs Blätter liegt über 11 %. Die restlichen fünf Blätter teilen sich einen Anteil unter 9 % oder sogar unter 5 %.
Die Downloadzahlen zeigen natürlich nicht, wo der Schuh des Lehrpersonals drückt, sondern «nur» das unterschiedliche Interesse an den verschiedenen Blättern.
Ausblick: Informationsblätter für die Sekundarstufe II
Die relativ hohen Zahlen der Downloads zeigen, dass die Informationsblätter von vielen gebraucht werden und somit einem realen Bedürfnis entsprechen. Die Zahlen bestätigen somit die am Anfang des Beitrags erwähnte Vermutung aus der lateinischen Schweiz, dass eben ein solcher Bedarf besteht. Nach Abschluss dieses Projektes für die Volksschule, arbeiten wir an Informationsblättern für alle Bereiche der Sekundarstufe II.
*Die Meinungen von Gastautoren repräsentieren nicht zwingend die Haltung der EDK.