Gastautorin*: Klára Sokol, Direktorin der Fachagentur éducation21
BNE fördert kritisches und vernetztes Denken, kreative Problemlösung und Kooperation. Alles Kompetenzen, die im Studium, auf dem Arbeitsmarkt und in der Politik gefragt sind. Blogbeitrag von Klára Sokol.
Kritisches Denken, Verständnis für Komplexität, ganzheitliche Problemanalyse, Umgang mit Widersprüchen, Verantwortungsübernahme: Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) entwickelt und fördert Kompetenzen, die nicht nur auf die akademische und berufliche Laufbahn, sondern auch auf die Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen vorbereiten. BNE trägt, ganz im Sinne des Bildungsziels, zur persönlichen Reife bei und ist darum Teil des neuen Rahmenlehrplans für die gymnasialen Maturitätsschulen.
Am 1. August 2024 wurden nicht nur schweizweit Festreden geschwungen, es trat ebenso feierlich der neue Rahmenlehrplan (RLP) für die gymnasialen Maturitätsschulen in Kraft. Neu integraler Bestandteil ist der transversale Unterrichtsbereich «Bildung für Nachhaltige Entwicklung» (kurz BNE), der bereits in den Lehrplänen der obligatorischen Schule verankert ist. Man könnte meinen, dass es sich bei diesem curricularen Aufbau und der Ausweitung der vertieften Gesellschaftsreife auf Nachhaltigkeitsthemen um einen logischen bildungspolitischen und pädagogischen Schritt handelt. Die mediale Berichterstattung und die Reaktionen darauf zeigen ein anderes Bild: Da ist von Angst vor Indoktrination oder Wokeness die Rede und von der Furcht vor fehlender Wissensvermittlung. Zeit für eine Klärung: Was ist BNE, warum steht sie im Rahmenlehrplan und wie kann sie in der gymnasialen Bildung umgesetzt werden?
Die Matura ist, wie der Name sagt, eine Reifeprüfung. Der Weg dorthin führt über solide Fachkenntnisse, wie zum Beispiel Gedichtinterpretation, Kurvendiskussion und Fremdsprachenkenntnisse, macht aber dort nicht halt. Zum gymnasialen Bildungsziel gehört neben der allgemeinen Studierfähigkeit auch die vertiefte Gesellschaftsreife. Gemäss RLP ist diese erreicht, wenn jemand über Kompetenzen verfügt, die ihm erlauben, anspruchsvolle gesellschaftliche Aufgaben zu lösen und Verantwortung zu übernehmen. BNE leistet hier einen wichtigen Beitrag und fördert durch ein spezifisches didaktisches und methodisches Vorgehen kritisches und vernetztes Denken, Umgang mit Zielkonflikten, Kreativität und Kooperation. Alles Kompetenzen, die im Studium, auf dem Arbeitsmarkt und in der Politik gefragt sind.
Beim Vermitteln dieser Kompetenzen gilt ein absolutes Indoktrinationsverbot. Die Lehrerinnen und Lehrer sind angehalten, alle Themen, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, auch im Unterricht kontrovers zu diskutieren. Im Unterschied zu den akademischen Disziplinen bewegt sich BNE jedoch in einem normativen Rahmen, nämlich demjenigen der Nachhaltigen Entwicklung. Diese wird in unserer demokratischen Gesellschaft transparent, breit und in intensiven Diskussionen ausgehandelt. BNE stützt sich auf diese und befähigt auf Grundlage soliden Fachwissens und wissenschaftlicher Methoden die Jugendlichen dazu, sich an einer nachhaltigen Entwicklung zu beteiligen. In welcher Form und auf Basis welcher Werte sie das tun, entscheiden die Jugendlichen nach dem vorangegangenen Lernprozess eigenständig.
Das hohe Bildungsziel und seine Umsetzung sind sehr anspruchsvoll. éducation21 bietet daher mit gezielten Angeboten Hand. Neben Beratungen und Weiterbildungen finden sich im Online-Katalog zahlreiche konkrete Inputs für den Unterricht, zum Beispiel Dossiers mit aktuellem Fachwissen und Unterrichtsimpulsen zu verschieden Themen. Gemeinsam mit Partnerorganisationen erstellt éducation21 innovative Angebote, wie das Unterrichtsmodul zu Arbeitsteilung und Handel in Kooperation mit iconomix oder die Ausstellung «Reiseziel Erde» mit der Pädagogischen Hochschule Wallis.
BNE im Rahmenlehrplan der Gymnasien schafft die Gelegenheit, Wissen aus mehreren Disziplinen zu verknüpfen, verschiedene Perspektiven einzunehmen, Antworten auf diejenigen Fragen zu diskutieren, die junge Menschen beschäftigen. Vor dem Hintergrund der verschiedenen Nachhaltigkeitsagenden stellt dies gesellschaftliche Reife in dem Sinne dar, wie sie die gymnasiale Bildung anstrebt: Die Jugendlichen verlassen die Gymnasien als initiative, kritisch denkende und reflektiert handelnde Mitglieder der Gesellschaft von morgen.