Gastautor*: Toni Ritz, Direktor der Fachagentur Educa
«Daten sind das neue Öl»: Die Metapher hinkt, doch in ihr steckt Substanz fürs Lernen. Toni Ritz zeigt auf, wie.
«Daten sind das neue Öl» lesen wir immer mal wieder. Dass die Metapher hinkt, merken wir ohne grosse Denkübung: Öl versiegt, wenn wir es nutzen; Daten werden mehr. Und die ergiebigste Datenquelle sind wir selbst.
Die Zeitschrift «The Economist» ging am 6. Mai 2017 der Frage nach, welcher Art von Governance die Welt im 21. Jahrhundert bedürfe: Ist das Zeitalter von Apple, Google, Amazon etc. vergleichbar mit jenem von Standard Oil? Müssen Datenriesen zerschlagen werden, wie einst Rockefellers Erdöl-Monopol? Die Antwort folgte ohne Überraschung: Wer Daten- statt Ölmonopole verhindern wolle, müsse nicht auf Grösse achten, sondern Zeichen früh erkennen. Wenn Facebook einst für WhatsApp, ein Start-up ohne nennenswerten Ertrag, 16 Milliarden Dollar freimachte, wäre das Anlass für «red flags» gewesen; Kartellwächter müssten klug für Daten und Algorithmen werden.
«Old ways of thinking», jene aus der Ölzeit, würden der Datenzeit nicht gerecht, befand der Leitartikel. Daten ≠ Öl lautete die Quintessenz. Wie so oft beim Zitieren, machte der Volksmund das Gegenteil daraus.
Näher als Wirtschaftsgeschichte ist uns in der Bildung Jean Piagets Entwicklungspsychologie. Wir wissen um die Bedeutung von Assimilation und Akkommodation. Menschen schliessen von Vertrautem aufs Neue. Wenn sie scheitern, lernen sie hinzu. Das gilt nicht nur für Kinder, wenn sie merken, dass eine Holzkugel nicht als Apfel taugt.
Von andern für die Bildung lernen
Das Erkunden und Verstehen digitaler Holzkugeln ist unser Auftrag. Was gut für das Bildungssystem ist, ahnen wir am Anfang einer solchen Lernreise nur holzschnittartig. Es können Baupläne für Marmelspielbahnen sein oder gemeinsame Regeln für nachhaltige Forstwirtschaft; und wenn jemand mit Holzkugeln Dinge macht, die noch niemand versucht hat, gehen wir der Sache auf die Spur. Dafür müssen wir im digitalen Ökosystem präsent und gut vernetzt sein.
Die Schlüssel zum Umgang mit Neuem und zu dessen Wirkung werden wir ausserhalb des Vertrauten finden. Als die digitale Identität zunehmend auch auf Schule und Unterricht zu wirken begann, haben wir Föderationen in anderen Branchen beobachtet. Mehr als fünf Jahre hat der Prozess bis zum bildungspolitischen Beschluss für Edulog Ende Oktober 2019 gedauert. Ende dieses Monats wird die EDK-Plenarversammlung über nächste Schritte entscheiden. Derweil nutzen die deutschen Bundesländer die Erfahrung der Schweizer Kantone für eine ähnliche Föderation.
Wenn Menschen und Organisationen diversester Herkünfte und Perspektiven gemeinsam neue Pfade erkunden und sich an Unbekanntes trauen, sind nicht allein Assimilation und Akkommodation aus Jean Piagets Erkenntnissen im Spiel. Auch Donald Schöns Reflective Practice als Lernmotor in Organisationen und Systemen wirkt mit. In einem solch iterativen Prozess befindet sich die Suche einer gemeinsamen Datennutzungspolitik für den Bildungsraum Schweiz. In einem Jahr wird das neue Datenschutzgesetz (DSG) nach langem und zähem Verhandeln in Kraft treten. Im Frühling hat der bernische Grosse Rat das kantonale Gesetz über die digitale Verwaltung (DVG) verabschiedet. Parallel zu diesem Wandel der rechtlichen Grundlagen auf allen politischen Ebenen nimmt die Digitale Verwaltung Schweiz (DVS) Fahrt auf. Assimilation, Akkommodation in Reinkultur; anspruchsvolle Lernschleifen werden den Weg bis zur Äquilibration prägen.
Den Radar fürs Neue pflegen
Emergente Technologien, neue Netzwerke und bisher unbekannte Konstellationen beleben den Bildungshorizont. Woraus relevante Entwicklungen mit nachhaltiger Gestaltungskraft reifen werden, und wo bloss Sternschnuppen leuchten, ist im Voraus selten erkennbar. Neue Verbindungen mögen als Hinweise dienen. So wie damals, als Amazon-Gründer Jeff Bezos früh in Google (1998) oder Airbnb (2011) investiert hat.
Die Geschichte der Digitalisierung lehrt, dass gut fährt, wer sich mit Entwicklungen früh und aufmerksam auseinandersetzt. Das feit nicht vor Fehlprognosen. Aber es hilft, sich an Holzkugeln nicht die Zähne auszubeissen.